Der Biomarkt ist im Sinkflug
Zum ersten Mal seit 20 Jahren gehen die Umsätze im Bio-Markt zurück. Die gesamte Branche ist im Krisenmodus. Auch wir bekommen das zu spüren.
Minus 20 Prozent. Das ist die Zahl, die Bio-Produzenten und -Händler derzeit das Fürchten lehrt. Die ganze Branche kannte in den letzten 20 Jahren nur Wachstum. Die Umsätze stiegen um 10, 15, 20 Prozent. Jedes Jahr. Ein Minus kam in den Rechnungen nicht vor.
Die Covid-19-Pandemie entpuppte sich in diesem ohnehin schon günstigen Umfeld als Nachbrenner, der das Wachstum in ungeahnte Höhen katapultierte. Auch für uns hatte die Pandemie diesen Effekt, wie Sie in unserem Jahresbericht 2020 nachlesen können.
Im Glauben, dass es fortan so weitergehen würde, füllte der Einzelhandel 2021 emsig seine Lager, bestellte optimistisch Waren im Voraus und budgetierte mit einem erneuten Wachstum von 20 Prozent – das gilt auch für uns.
Doch dann kam der Krieg in der Ukraine und mit ihm der Todfeind des Wachstums: die Inflation. Seither geht es bergab. "Wenn wir mit 20 Prozent Wachstum rechnen und der Markt um 20 Prozent schrumpft, stehn wir vor einer Lücke von 40 Prozent", sagt Jorn van den Dop. "So eine Lücke schliesst man nicht einfach so."
Jorn ist Head of Trade bei gebana BV, unserer Tochterfirma in den Niederlanden. Wenn wir über Grosspackungen sprechen, kann Jorn nur schmunzeln. Sein Team verkauft Cashews, Mangos und Co. containerweise. Doch zurzeit wollen ihre Kunden von solchen Mengen nichts wissen.
Die Menschen sparen beim Essen
Die Angst vor dem Krieg, die gestiegenen Energiepreise und die Inflation sorgen dafür, dass sich diese Situation weiter verschärft. Immer mehr Menschen kaufen eher konventionelle Lebensmittel statt Bio-Produkte. Denn die sind billiger und wer sparen will oder muss, tut das offenbar zuerst beim Essen.
Dieser Verhaltenswechsel führt dazu, dass der Einzelhandel auf seinen Waren sitzen bleibt und selbst weniger einkauft. Manch einer versucht sogar, sich aus bestehenden Verträgen herauszureden oder zumindest Waren später zu beziehen als vereinbart, wie Jorn sagt.
Wenn der Einzelhandel volle Lager hat und deshalb weniger kauft, stapeln sich auch im vorgelagerten Grosshandel die Waren. Und wenn dann der Grosshandel nicht mehr kauft, bleiben die Importeure auf ihren Waren sitzen. Das geht immer so weiter bis wir – wie so oft – beim schwächsten Glied der Kette ankommen: bei den Bauernfamilien im Ursprung.
"Als Händler kannst du jederzeit aus dem Markt aussteigen. Als gebana können wir das nicht.", sagt Jorn. "Wir fühlen uns gegenüber den Bauernfamilien verpflichtet." Dort, wo wir direkt mit Bauernfamilien zusammenarbeiten, finanzieren wir schon vor Saisonbeginn fast die gesamte Ernte vor – in Burkina Faso und Togo zum Beispiel.
Gute Ernten zum ungünstigsten Zeitpunkt
Der Druck auf gebana BV steigt zusätzlich durch ausserordentlich gute Ernten in Burkina Faso und auch in Tunesien, die uns dieses Jahr viel mehr Ware bescheren, als wir im Moment verkaufen können. In Tunesien wollten wir ursprünglich 1100 Tonnen Datteln einkaufen. Zurzeit sprechen wir nur noch von 750 Tonnen. Das entspricht zwar nicht unseren Grundsätzen, aber: "Wir können uns schlicht nicht auf mehr einlassen. Es ist zu riskant", sagt Jorn.
Die grössten Probleme, die sich für uns daraus ergeben sind die hohen Lagerbestände. Die binden unsere Mittel und deshalb stehen wir vor mangelnder Liquidität. Unser Team in den Niederlanden ist deshalb quasi nonstop am Telefon, versucht auf Messen neue Kunden zu finden und schraubt an Verträgen, um doch noch irgendwie unsere Waren verkaufen zu können.
Die grösste Hürde dabei: "Im Moment unterbieten sich alle im Markt, um doch noch irgendwie die ein oder andere Tonne Cashews oder Mangos loszuwerden", sagt Jorn. Der daraus resultierende Preissturz bereitet unserem Team in den Niederlanden zusätzliche Sorgen.
Einzelhandel nutzt Inflation um Margen aufzubessern
Wenn die Preise im Grosshandel sinken, müssten sie das im Einzelhandel theoretisch auch. Tatsächlich passiert aber das Gegenteil: Sie klettern immer weiter nach oben. In Deutschland etwa stiegen sie im Oktober um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Einzelne Produkte wie etwa Sonnenblumen- und Rapsöl verteuerten sich gar um 81 Prozent!
Klare Gründe für diese Aufschläge sind nicht erkennbar. Vielmehr scheint der Handel die Inflation als Vorwand zu nutzen, um seine Margen aufzubessern.
Wir haben in unserem Onlineshop bisher keinen einzigen Preis erhöht. Dank unseren treuen Kund:innen wachsen wir im Onlinegeschäft im Vergleich zum Grosshandel aktuell auch noch leicht. Trotzdem werden wir um punktuelle Preiserhöhungen im Jahr 2023 wohl nicht herumkommen.
Verwendete Quellen
Umbruch am Bio-Markt – Wirtschaftswoche, https://www.wiwo.de/my/unternehmen/handel/inflation-vs-bio-maerkte-umbruch-am-bio-markt/28771508.html?ticket=ST-114149-6v6Mgv3gCMyvEwcwtOiV-cas01.example.org (abgerufen am 15.11.2022)
Lebensmittel und die Inflation: Gerne, aber günstig: Bio-Branche in Not – ZDF, https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/lebensmittel-bio-inflation-krise-sparen-100.html (abgerufen am 9.11.2022)
Biomarkt in der Krise – die fetten Jahre sind vorbei – Agrar heute, https://www.agrarheute.com/markt/marktfruechte/biomarkt-krise-fetten-jahre-vorbei-597028 (abgerufen am 9.11.2022)
Biomarkt unter Druck – Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, https://llh.hessen.de/unternehmen/marktinformation-und-preise/biomarkt-unter-druck/ (abgerufen am 9.11.2022)
Bio gerät immer mehr unter Druck – SRF, https://www.srf.ch/news/wirtschaft/folge-der-inflation-bio-geraet-immer-mehr-unter-druck (abgerufen am 9.11.2022)
Krieg setzt Biomarkt unter Druck – Land & Forst, https://www.digitalmagazin.de/marken/landforst/hauptheft/2022-28/betriebsfuhrung/014_krieg-setzt-biomarkt-unter-druck (abgerufen am 9.11.2022)
Teure Lebensmittel – warum eigentlich? – Mein Konsumkompass, https://meinkonsumkompass.de/allgemein/teure-lebensmittel-warum-eigentlich/ (abgerufen am 18.11.2022)