"gebana money nana"
Wie beteiligt man über 2500 Bauernfamilien aus Burkina Faso am Umsatz einer Schweizer Firma? Man braucht einen Plan, moderne Technologie, eine gehörige Portion Geduld und viel Feierlaune. Text und Fotos: Eleonora Gallo, gebana Berlin
Ousseni Porgo wirkt nervös und angespannt, als er aus dem von Staub überzogenen Geländewagen aussteigt und die letzten Meter zum Dorf Tapogodéni im Südwesten Burkina Fasos geht, knapp zwei Autostunden von Bobo-Dioulasso entfernt. «Wird der Geldtransfer klappen? Haben wir an alles gedacht?», fragt er mehr sich selbst als seine Begleiter.
Ousseni leitet bei gebana Burkina Faso die Abteilung Agronomie und Einkauf. Sein Team berät und schult Bauernfamilien, unterstützt sie beim Zertifizierungsprozess und kauft ihnen Cashews und Mangos ab. Der heutige Besuch ist für das Team aber alles andere als alltäglich.
Mit der linken Hand schützt Ousseni seine Augen vor der Sonne, die vom wolkenlosen Himmel niederbrennt. Es ist Oktober und über 30 Grad – nicht ungewöhnlich in Burkina Faso, wo das Thermometer selten auf unter 20 fällt. Oussenis Blick gleitet über den kleinen Dorfplatz, auf dem 50 vielleicht 60 Plastikgartenstühle, Hocker und verrostete Metallstühle im Schatten eines grossen Mangobaums aufgereiht stehen. Der Baum ist das kulturelle Zentrum des Dorfes. Hier findet alles statt. Hochzeiten, Geburtstage, Tanz, Theater. Auf einigen der Stühle sitzen Menschen, die erwartungsvoll zu Ousseni und seinen Leuten schauen. Es dauert nicht lange und das ganze Dorf ist versammelt.
Der Grund für die Versammlung: Die Bauernfamilien erhalten einen Teil des Umsatzes von gebana. Es ist ein neuer Handelsansatz, der rund 5400 km entfernt in einem eingeschneiten Hotel in Preda seinen Anfang nahm. In langer Arbeit entstand ein Konzept, wie wir das ungerechte System des globalen Handels ändern könnten. Wir entwickelten Ideen, verwarfen sie, nahmen sie wieder auf, diskutierten hin und her. Am Ende stand unter anderem die Einsicht, dass wir statt zusätzliche Prämien zu zahlen, lieber teilen wollen.
Über 60 verschiedene Sprachen und Dialekte
In Tapogodéni erklärt jetzt Ousseni den Menschen, weswegen wir hier sind. «gebana zahlt euch einen Teil des Verkaufserlöses eurer Cashews und Mangos zurück. Gebt das Geld aber bitte nicht für Bier aus oder um eine weitere Frau zu heiraten», sagt Ousseni und erntet schallendes Gelächter unter den anwesenden Männern, nachdem ein Mitarbeiter von gebana Burkina Faso für ihn übersetzt hat.
Ousseni Porgo ist selbst zwar auch Burkinabé, aber er spricht nicht alle Sprachen des Landes. Wie auch? Die Menschen in Burkina Faso gehören je nach Zählweise zu 30 bis 60 verschiedenen Ethnien, die über 60 Sprachen und Dialekte sprechen. Die offizielle Amtssprache ist Französisch, doch damit kommt man in Dörfern wie Tapogodéni nicht weit. «Wir empfehlen euch, das Geld in eure Arbeit zu investieren. Bezahlt damit Helfer während der Ernte, kauft neue Werkzeuge, denkt an die Zukunft», beendet Ousseni seine Ansprache, als sich die Männer wieder beruhigt haben.
Die Bauern stehen nun um Mirjam Traoré, Agronomin und verantwortlich für Zertifizierungen und Bauernschulungen bei gebana Burkina Faso. Mirjam erfasst die Namen der Bauern und löst die Zahlungen aus. Jene Bauern, die schreiben können, werden bei ihr später den Erhalt der Zahlung mit ihrer Unterschrift bestätigen. Die anderen setzen einen Fingerabdruck neben ihre Namen.
Das Geld – jeder im Dorf bekommt den gleichen Betrag – erhalten die Bauern via Mobiltelefon. Eine verbreitete Methode des Geldtransfers in Westafrika. Sie funktioniert ohne Bankkonto und der Transfer ist meist in wenigen Minuten erledigt.
Alle starren jetzt auf ihre Handys. Nichts passiert. Nicht nach fünf Minuten, nicht nach zehn. Ousseni steht der Schweiss auf der Stirn. Genau davor hatte er Angst. Wenn es im ersten Dorf schon nicht klappt, wie soll es in den restlichen 52 funktionieren?
Mehr als eine Stunde lang versichert Ousseni den Bauernfamilien, dass das Geld gleich da sein wird. Langsam kommen ihm aber selbst Zweifel. «gebana money nana», ruft plötzlich einer der Bauern, «das Geld von gebana ist da». Immer mehr rufen nun aus. Das ist das Signal für die Männer am Balafon – ein Instrument ähnlich dem Xylophon, man findet es in ganz Westafrika. Begleitet von den warmen, hölzernen Klängen des Balafons gibt es jetzt Dolo, das lokale Bier, und Essen für alle. Männer, Frauen, Kinder tanzen, singen und machen Fotos mit ihren Handys.
Ousseni lässt sich in einen Gartenstuhl fallen. Er ist glücklich. Alles hat funktioniert und er kann entspannen. Doch ein Teil von ihm denkt schon an die nächsten Tage und Wochen. Es liegen noch 52 weitere Auszahlungen vor ihm.
Die Fakten
Von November 2019 bis Ende Januar 2020 haben Ousseni Porgo und sein Team 53 Dörfer besucht und 2554 Familien rund 124'000 Franken ausgezahlt. Das Geld entspricht 10 Prozent des Verkaufserlöses unserer Cashewprodukte und Trockenmangos im Online-Shop. Den Betrag haben wir unter allen Bauernfamilien aufgeteilt – auch jenen, die in den Grosshandel liefern, der nichts von seinem Umsatz abliefert. Die Familien erhielten zwischen knapp 2 und 160 Franken. Ausschlaggebend für die Aufteilung war die Menge an Cashews und Mangos, die ein ganzes Dorf lieferte. Innerhalb eines Dorfes bezahlten wir allen Familien den gleichen Betrag. Zum Vergleich: Landwirtschaftliche Tagelöhner verdienen etwa 1.55 Franken pro Tag, der Mindestlohn für formelle Arbeiter liegt bei rund 54 Franken pro Monat.
Einen Grossteil konnten wir via Mobiltelefon ausbezahlen, einige erhielten das Geld mangels Mobiltelefon, Netzabdeckung oder Auszahlkiosk in bar. Vier Bauern bekamen nichts, da sie ihre Telefonnummer falsch notierten und sich die irrtümlichen Empfänger weigerten, das Geld zurückzugeben.