Zeichen setzen gegen die Mafia
Die Pasta von Libera Terra ist alles andere als gewöhnlich. Das liegt zum einen an der Herstellungsart, ganz besonders aber an den Böden, auf denen die Rohstoffe dafür angebaut werden. Denn diese hat der Staat von der Mafia konfisziert! (Aktualisiert am 9. April 2025)

gebana: Für uns Nicht-Italiener ist Pasta gleich Pasta. Gibt es da wirklich Unterschiede?
Libera Terra*: Ja, da gibt es schon Unterschiede! Unsere Pasta kommt nicht aus industrieller Massenproduktion. Um die Eigenschaften des Rohmaterials zu erhalten, wird der Hartweizengriess bei unter 40°C kaltgemahlen und der Pastateig bei einer mittleren Temperatur von 68°-70°C getrocknet. So dauert die Herstellung zwar länger, ist aber schonender. Zudem wird unsere Pasta durch Formen aus Bronze getrieben. Somit wird die Oberfläche nicht glatt. Dank dieser Porosität saugen sich Spaghetti etc. mit Sauce voll – und die Sauce macht ja schliesslich ein Pastagericht aus!
Woher stammt der Weizen für die Pasta von Libera Terra ?
Der Hartweizen für Libera Terra kommt von Kooperativen, die auf Land anbauen, das die Behörden von der Mafia konfisziert haben, sowie von Bäuer:innen im Süden, die unsere Prinzipien teilen. Total liefern neun verschiedene Kooperativen den Hartweizen. Fünf davon sind auf Sizilien, vier auf dem Festland in Süditalien.
Sie alle bauen neben dem Weizen ganz unterschiedliche Produkte nach biologischen Richtlinien an. Wenn ein gewisses Produkt noch nicht bio-zertifiziert ist, hat das damit zu tun, dass immer wieder neue, konfiszierte Landstücke hinzukommen. Der Anbau erfolgt zwar von Anfang an biologisch, aber es braucht eine mehrjährige Umstellungszeit, bis die Produkte die Zertifizierung erhalten.
Können Sie erklären, wie der Anbau auf von der Mafia konfisziertem Land funktioniert?
Libera Terra wurde von der Initiative "Libera (Freed) Associations, Names and Numbers Against Mafia Organzisations" gegründet. Im Jahr 1995 förderte diese eine bundesweite Petition, um das italienische Parlament dazu zu bringen, ein Gesetz zu verabschieden, das die Wiederverwendung von beschlagnahmten Vermögenswerten des organisierten Verbrechens durch Sozial-Kooperativen ermöglicht.
Mehr als eine Million Menschen unterzeichneten die Petition, die dafür sorgte, dass das Gesetz verabschiedet wurde. Seither müssen Güter der Mafia, die an den Staat übergehen, entweder von Sozial-Kooperativen genutzt werden oder für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Basierend auf diesem Gesetz entstand 2001 dann die erste Landwirtschaftskooperative hier in San Guiseppe Jato in Sizilien, die bis heute Wein, Weizen und weitere Produkte anbaut, wie Tomaten, Linsen, etc. Heute werden die Mitglieder jeder Genossenschaft durch eine öffentliche Auswahl ausgesucht und dann mit der Verwaltung und Bewirtschaftung der konfiszierten Grundstücke beauftragt.
Ist es nicht gefährlich für die Produzent:innen, auf von der Mafia konfiszierten Ländern zu arbeiten?
Der Beginn war schwierig. Viele Dienstleister, aber auch Arbeiter:innen wollten aus Angst nicht mit der ersten Kooperative zusammenarbeiten. Zudem sind die Grundstücke häufig in schlechtem Zustand, ehe eine Genossenschaft beginnt, sie zu bewirtschaften. Da hatten wir viele Hindernisse zu überwinden.
Heute sind die Libera-Terra-Kooperativen in ganz Italien bekannt. Sie gelten als konkretes und erfolgreiches Beispiel für soziales Unternehmertum, das mit der Unterstützung durch die örtlichen Gemeinschaften Arbeitsplätze schafft, benachteiligte Menschen beschäftigt und die Verbreitung von organischen und nachhaltigen Produktionsprozessen fördert. Gleichzeitig zeigt der Erfolg der Libera-Terra-Produkte auf dem Markt, dass mit einer sozialen Wiederverwendung der von den Mafias beschlagnahmten Eigentümer und einem qualitätsbasierten Geschäftsmodells, ein tugendhaftes Wirtschaftssystem funktionieren kann.
Die meisten Ihrer Produkte stammen aus Süditalien. Lässt sich dort der Klimawandel spüren und wie gehen Sie damit um?
Bereits in naher Zukunft ist der globale Klimawandel in der Tat eine Herausforderung. Wir haben zunehmend ungewöhnliche Jahreszeiten, die erhebliche Auswirkungen auf die traditionellen Kulturen der Ländereien haben, auf denen wir tätig sind. Zum Beispiel der Anbau von geschälten Tomaten für die Pelati in Sizilien: Die Früchte werden nach der sogenannten "siccagno"-Methode angebaut, d. h. ohne Bewässerung. In den letzten Jahren waren die Ernten schlecht, und wir erwägen, die Produktion nach Kalabrien zu verlegen, wo die Dürre weniger bedrohlich ist als in Sizilien. Im Allgemeinen sollten wir uns also so schnell wie möglich fragen, ob ein Übergang in der Landwirtschaft möglich ist, beispielsweise durch die Einführung neuer Verfahren zur Pflege traditioneller Kulturen, ohne die Einführung neuer Kulturen angesichts des fortschreitenden Klimawandels auszuschliessen.
Wie funktioniert das System mit den verschiedenen Kooperativen?
Es gibt bei Libera Terra keine klassischen "Bauernfamilien": Die Produzent:innen sind Mitglieder der Kooperativen. Um Mitglied zu werden müssen die Kandidat:innen ihre Motivation und Ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Ausserdem müssen sie sich anmelden und auch investieren. Wir suchen engagierte Menschen, denn als Mitglied werden sie zum Unternehmer. Neben den Mitgliedern gibt es auch Angestellte – ganzjährig und saisonal.
Die Mitglieder unserer Kooperativen sind im Grunde Menschen, die einen Beruf im landwirtschaftlichen Bereich ausüben und in den Regionen leben, in denen die Kooperativen tätig sind. Als genossenschaftliches Unternehmen verbinden wir traditionelle Wurzeln mit einer zukunftsorientierten Professionalisierung, das heisst wir investieren gezielt in die Weiterbildung unserer Mitglieder, stärken ihre Fähigkeiten und fördern den Erwerb neuer Kompetenzen. Sie arbeiten nach strengen Richtlinien und schliessen langfristige Verträge mit garantiertem Mindestpreis ab – so sichern wir die Wertschätzung ihrer Bio-Rohstoffe unabhängig von Marktschwankungen.
Und wer sind diese 30 % Arbeitnehmer:innen, die benachteiligt sind?
Als soziale Genossenschaft vom Typ B sind wir gesetzlich verpflichtet, mindestens 30 % benachteiligte Mitarbeitende zu beschäftigen. Dazu zählen unter anderem Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Einschränkungen, ehemalige Suchtkranke oder Haftentlassene. Wir kennen ihre genauen Hintergründe nicht, sondern orientieren uns an der gesetzlichen Anerkennung. Alle Mitarbeitenden werden bei uns gleichbehandelt.
Was ist mit Migrant:innen?
Auch wenn wir Migrantinnen und Migranten als benachteiligte Gruppe sehen, können wir sie leider nicht einstellen, da sie vom Staat nicht entsprechend anerkannt sind. Wir brauchen keine Sonderbehandlung oder Heldengeschichten. Unser Fokus liegt auf guter Arbeit, fairen Löhnen und hochwertigen Produkten – nicht auf politischem Aktivismus.
Libera Terra Pasta ist allen Bürgern gewidmet, die mit bedingungsloser Liebe und anstrengender Hingabe beweisen, dass das demokratische, friedliche, einladende, kulturelle und künstlerische Italien stärker ist als der Zerfall, der durch Mafia, Korruption und Unehrlichkeit verursacht wird.
*Libera Terra versteht sich selbst als Gemeinschaft und möchte auch nach aussen hin so auftreten. Namen und Gesichter von Mitgliedern der Kooperative sollen daher ausdrücklich nicht genannt bzw. gezeigt werden.