Liebe Ursula

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Wenn ich darüber nachdenke, was du für die gebana und für mich persönlich bedeutest, dann kommt mir vieles in den Sinn. Zum Beispiel folgende Sätze, die du oft wiederholt hast: „Dann machen wir es eben selber“, „Es gibt kein faires Produkt“, „Mein Traum ist, dass vom Bauern bis zum Kunden alle um einen Tisch sitzen und den Preis verhandeln“.

Ursula_Brunner_Blog

Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal von dir hörte – in einer Befreiungstheologiegruppe vor fast 25 Jahren. Damals warst du schon gegen 70 Jahre alt und so aktiv, dass die damaligen Geschäftsführer des gebana Vereins alle Hände voll zu tun hatten, um deine Ideen zu kanalisieren. Deine ständige Aktivität hatte nichts mit fehlendem Loslassen zu tun. Es ging nicht um gebana, eine Funktion oder ein ideelles Engagement. Man spürte etwas Existenzielleres, eher eine „Option für die Armen“ in der Tradition der lateinamerikanischen Befreiungstheologie.

Ich glaube, dass die FDP mit dir gebrochen hatte Anfang der 1980er Jahre, hat dich viel weniger gekümmert, als die Art, wie die grossen Schweizer Hilfswerke in den 1990er Jahren den Fairen Handel standardisiert und in den konventionellen Handel überführt haben. Wie in vielen anderen Ländern und auf Drängen der Grossverteiler hatten sie sich dafür entschieden, ein Label zu schaffen, das es dem konventionellen Handel ermöglichte, faire Produkte zu handeln. Gleichzeitig verabschiedeten sie sich von der konkreten Einmischung in Belange des Handels und waren nun einerseits dem konventionellen Handel näher, andererseits selber weiter entfernt vom Thema und ideologischer. Die Initiativen der ersten Stunde galten ihnen als unprofessionell, deren jahrzehntelange Erfahrung wurde kaum einbezogen.

Trotz deines rhetorischen Geschicks war es dir damals unmöglich zu erklären, warum die erfolgreiche Entwicklung der Umsätze mit Max-Havelaar-Label für dich einen schalen Beigeschmack hatte. Du hast dir keine Freunde gemacht mit deiner Kritik und deinem Anrennen gegen die Geschäftsleitung und die Hilfswerke, welche den Stiftungsrat stellten. Du wurdest gelobt für die Vergangenheit, aber man dachte, du und andere Pioniere seien überholt und einfach etwas neidisch. Ich gebe zu, dass ich damals als frischgebackener gebana Geschäftsführer auch manchmal so dachte. Erst Jahre später dämmerte es mir, was du gemeint hast mit „es gibt kein faires Produkt“: die Standardisierung von „fair“ führt unweigerlich zu einer Art modernem Ablasshandel. Indem man faire Produkte kaufen kann, entledigt man sich der Fragen nach Gerechtigkeit. Der Handel und die Wertschöpfungsverteilung verändern sich damit nicht. Trotzdem: Du warst nie gegen Max Havelaar und du hast immer intensive Beziehungen gepflegt zu vielen seiner Mitarbeitenden. Gestört hat dich nur, dass mit „fairen Produkten“ das Thema gerechter Handel ad acta gelegt wurde.

Von unserem letzten Treffen ist mir in Erinnerung geblieben, wie du dich über die neuen Initiativen gefreut hast, die im Moment entstehen. Diesen neuen Initiativen und einzelnen ihrer jungen Pioniere warst du nahe. Sie suchen dasselbe wie du und deine Mitstreiterinnen vor über 40 Jahren: mehr Gerechtigkeit. Der faire Handel ist für sie ein Werkzeug, und ein Versuchslabor und nicht ein Ziel an sich. Allen gemeinsam ist das Bedürfnis zu handeln und die bestehenden Handels-Systeme herauszufordern. Das galt auch für euch Bananenfrauen. Ihr wolltet nicht mit Spenden oder mit Kritisieren, sondern im internationalen Handel etwas bewirken. Unerschrocken und mit einem Gespür dafür, wo die Macht hockt, seid ihr auf die Sache zugegangen. „Dann machen wir es eben selber“ sei dabei einer eurer Leitsätze gewesen. Derselbe Satz leitet auch die jüngste Generation von Aktivisten in eurer Tradition.

Der Faire Handel ist also wieder in Bewegung. Die neuen Themen heissen Marktanschluss, Arbeitsplätze, Crowdorder und ganz generell gemeinsam organisierte und geteilte Beschaffungsketten, Offenheit statt Protektionismus, wieder Partei ergreifen für Länder, Bauern und Migranten aus dem Süden. In diesen neuen Bewegungen kommt der faire Handel auch deinem Traum vom runden Tisch, an dem vom Kunden bis zum Bauern alle sitzen und den Preis verhandeln ein Stück näher. Mein Eindruck war, dass du in letzter Zeit deswegen, aber vielleicht auch wegen der Hinwendung von Max Havelaar zu Fragen der Wirkung und der Weiterentwicklung der Idee vom fairen Handel, versöhnlicher gestimmt warst.

Zwischen unserem ersten und unserem letzten Treffen habe ich dich kennengelernt als pragmatische Verwaltungsrätin der frisch gegründeten gebana AG, die inmitten von Krisen immer an die Menschen dachte, als Verwaltungsrätin, die später ihren Posten aufgeben und Lagermitarbeiterin werden wollte – damals warst du fast 80. Ich erinnere mich, wie du einen Aufstand angezettelt hast, weil das Lager zu kalt, zu klein und vom Büro schlecht organisiert war: „Bodentruppe an Büroleitung“ stand im Titel deines Manifests. Ich erinnere mich auch an die vielen jungen, engagierten Frauen, die du an Vorträgen in Kantonsschulen oder zufälligen Treffen elektrisiert hast und die dann plötzlich auftauchten um mitzuarbeiten an unserer jungen Firma. Später dann das 40jährige Jubiläum der Bananenfrauen, als drei Generationen von Bananenfrauen mit Leiterwagen, Kinderwagen und Rollator noch einmal Bananen und eine Bananenzeitung verteilten in Frauenfeld. Auch das Treffen mit der gesamten Belegschaft in Bergün kommt mir in den Sinn, als du mit über 90 der jüngsten gebana Generation deine Geschichte und deine Gedanken erzählt hast. Zwei Stunden verflogen in kürzester Zeit und wurden danach noch Stunden an der Bar nachbesprochen.

Und wie geht es nun weiter ohne dich? Nach einer Diskussion mit dir schrieb ich auf: Der faire Handel, wie er heute ist, funktioniert elitär - wohlwollende Reiche halten ihn am Leben. Er bleibt darum mit seinen schön ausgelobten und angepriesenen „fairen“ Produkten eine Nische neben dem konventionellen Handel, einerseits wegen des Preises, andererseits weil er eine von vielen Optionen ist, besser einzukaufen. So aber verliert er seine transformative Kraft und wird bald an sein Ende kommen: in der Nische des Weltverbesserungs-Konsums und noch wichtiger, weil man ihn überhaupt kaufen kann. Das gilt insbesondere für den Labelansatz, aber auch für gebana. Wir müssen deshalb fundamentaler sein! Wir dürfen keine Nische bleiben und wir dürfen keine „fairen Produkte“ verkaufen. Aber wie? Wir sind schliesslich ein Zwerg und wir verkaufen Produkte...

Für mich liegt die Richtung für unseren Weg in den erwähnten Sätzen:

„Es gibt kein faires Produkt“, das heisst: Transparenz statt gutes Gewissen verkaufen und ständige Verbesserung. Wir sind eine Bewegung und nicht einfach Produktverkäufer, unsere Produkte sind nicht Zweck an sich, sondern Mittel zum Zweck, ebenso wie der faire Handel selbst. Nachhaltig fair ist, wenn am Ende in den Produktionsländern selbständige Firmen entstehen, die nicht auf „Fairen Handel“ angewiesen sind.

„Unser Traum ist, dass vom Bauern bis zum Kunden alle um einen Tisch sitzen und den Preis verhandeln“, das heisst: Die Entwicklung in Kommunikationstechnologie und Logistik dazu nutzen um Bauern und Kunden näher zusammenzubringen. Faire Produkte können so besser und manchmal sogar günstiger sein als konventionelle, vor allem aber können Bauern und Kunden gemeinsam, langfristig und ungestört von den oft gegenläufigen Interessen des Zwischenhandels über Preis, Qualität und Nachhaltigkeit befinden und so Sachzwänge überwinden, in denen sich Firmen ständig befinden.

„Dann machen wir es eben selber“, das heisst: Lasst uns die gesamte Handelskette selber machen und demokratisieren. Wir müssen die Bauern und ihre Familien kennen und mit den Konsumenten verbinden und wir müssen Wege finden, wie die Macht des Handels geteilt werden kann. Wir müssen dazu als Firma auch weiterhin grosse Risiken eingehen.

Du hast mich geprägt in vielen Diskussionen zum Fairen Handel und zur gebana und mit deinem Beispiel. In den nicht enden wollenden Krisen hast du uns an den Kern der gebana erinnert und du hast mutige Entscheide immer ohne Angst mitgetragen. Dein Glaube daran, dass es gut kommen kann, war überlebenswichtig. Neben deinem engagierten Interesse an der gebana hat mich dein liebevolles Interesse an Menschen und auch an mir und meiner Familie berührt. Nur in Lateinamerika habe ich das je so erlebt. Dein Interesse galt dabei immer zuerst den Frauen - manchmal hatte ich den Eindruck, dass du mich und meine Arbeit durch die Augen meiner Frau siehst und beurteilst. Wenn ich darüber nachdenke, dann hast du die gebana in gewisser Weise bis heute geführt mit deiner Freundschaft zu so vielen von uns.

Liebe Ursula, ich danke dir von ganzem Herzen für die Freundschaft und Verbundenheit, mit der du uns begleitet hast und für die Richtung, die du uns gezeigt hast.

Nun machen wir es eben selber.

Adrian für das gebana Team

Ursula Brunner war 1973 Mitgründerin der Bewegung der Bananenfrauen, Mitgründerin der gebana AG und gilt als Pionierin des fairen Handels. Sie verstarb am 23. März 2017 im Alter von 92 Jahren.